"Systemparteien", "Volksverrat", "Ketten brechen" – Kickl und die Sprache der Nazis
Zwischen den Rhetorik der FPÖ und dem Nazi-Vokabular bestehen bewusste oder unbewusste Parallen. Ein Vergleich in Zitaten
Hans Rauscher und Ronald Pohl
Dieser Artikel ist am 21. Jänner 2024 im Standard ersterschienen.
Hier sind die auffälligsten Parallelen in der Rhetorik von FPÖ-Politikern, vor allem Herbert Kickl selbst, und der Terminologie von Persönlichkeiten des Nationalsozialismus.
VOLKSVERRAT, VOLKSVERRÄTER
Das waren zentrale Kampfbegriffe des Nationalsozialismus, in der Propaganda und im Strafrecht massiv eingesetzt.
Herbert Kickl am 13. Jänner bei seiner Neujahrsrede in der Steiermarkhalle zu den "Einheitsparteien" ÖVP, SPÖ, Grüne und Neos: "Tretet doch gemeinsam an, habt doch den Mumm. Ich habe auch schon eine Idee: Liste Volksverrat würde gut passen."
Adolf Hitler am 12. Februar 1938 auf dem "Berghof" zum österreichischen Kanzler Kurt Schuschnigg: "Übrigens hat Österreich überhaupt nie etwas getan, was dem Deutschen Reich genutzt hat. Seine ganze Geschichte ist ein ununterbrochener Volksverrat."
Die NS-Justiz führte nach der Machtergreifung 1933 den Straftatbestand "Volksverrat" ein: "Ein unmittelbar gegen das deutsche Volk gerichtetes Verbrechen eines Volksgenossen, der die politische Einheit, Freiheit und Macht des deutschen Volkes zu erschüttern trachtet."
FAHNDUNGSLISTE
Noch vor dem Einmarsch in Österreich 1938 ("Anschluss") hatten die Nazis in Berlin Listen erstellt, wonach missliebige Personen verhaftet wurden. Vom "ersten Transport" ins KZ Dachau gibt es eine solche Liste.
Kickl drohte in seiner Neujahrsrede:"Ich habe schon eine so lange Fahndungsliste – Nehammer, Rauch, Edtstadler, Kogler, Schallenberg ... wanted, wanted ..."
SYSTEMPARTEIEN, SYSTEMPOLITIKER
Ebenfalls zentraler Bestandteil der NS-Polemik. Gemeint war (ist) die liberale Demokratie.
Herbert Kickl in seiner 1.-Mai-Rede in Linz: "Ich will ein freiheitlicher Volkskanzler sein statt Kanzler des Systems."
Kickl in seiner Neujahrsrede: "Das Land braucht (...) jemanden, der keine Scheu hat, sich mit dem System anzulegen."
Adolf Hitler in zahlreichen Wahlreden 1932: "Was die Systemparteien zerstören konnten, haben sie zerstört" – "Die Systemparteien sind zu jeder Lüge, zu jedem Schwindel bereit" – "Schlag auf Schlag fällt auf die Lügenbrut der Systemparteien nieder."
Hitler in einer Unterredung mit Reichskanzler von Papen am 13. August 1932: "Man müsse die sogenannten Systemparteien mit Feuer und Schwert ausrotten und dürfe dabei auch nicht vor Blutvergießen zurückschrecken."
BEVÖLKERUNGSTAUSCH, UMVOLKUNG
Die von den Nationalsozialisten verwendeten Begriffe waren "Volksgemeinschaft" und der (drohende) "Volkstod". Die "Neuen Rechten" heute verwenden eher die Begriffe "Umvolkung" und "Bevölkerungsaustausch", meinen aber dasselbe.
Kickl in einer Parlamentsrede am 7. Oktober 2020: "Ersparen uns Geld – für die Sozialausgaben nämlich –, das wir den Österreichern geben können, und gleichzeitig verhindern wir das Fortschreiten des Bevölkerungsaustausches."
Am 9. November 2022 stellte FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitzgemeinsam mit Vertretern von FPÖ-Jugendorganisationen eine "Bevölkerungsaustausch-Webseite" vor. Im August 2023 wurde ein Video der FPÖ-Jugend bekannt, in dem ausgiebig vom "Bevölkerungstausch" die Rede ist (und rechte Jugendliche andächtig den Blick zum "Führerbalkon" am Heldenplatz richten). Kickl fand das Video "großartig".
Der damalige niederösterreichische FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl in einer TV-Diskussion am 4. 2. 2023 zu einer Schülerin mit Migrationshintergrund zur Frage, wie es ohne ihresgleichen wäre: "Dann wäre Wien noch Wien."
Adolf Hitler am 1. Oktober 1941 im "Führerhauptquartier": "Was Wien schwierig macht, ist die Verschiedenartigkeit des Blutes in seinen Mauern. Die Nachkommen aller der Rassen, welche das alte Österreich umfasste, leben dort."
GLOBALISTEN, INTERNATIONALE ELITEN
Auffällig die Parallelen: die "internationalen Eliten" bei der FPÖ und die "internationalen Elemente" bei Hitler. Für ihn ein Codewort für das "internationale Finanzjudentum".
Kickl in seiner Video-Grußbotschaft vom 5. Mai 2023 an eine ultrakonservative Konferenz in Budapest: "Die EU-Kommission gefällt sich als selbsternannte Elite, die sich nie gegenüber dem Volk rechtfertigen muss. Dabei sind die Globalisten in Politik, Wirtschaft und Medien die einzigen Verbündeten dieses abgehobenen Eurokratenzirkels."
Kickl bei seiner Aschermittwochrede in Ried: "Ich werde ein freiheitlicher Volkskanzler werden, der nicht nach oben buckeln wird in Richtung EU, Nato, WHO, um dann nach unten zu treten, zur Bevölkerung."
Hitler am 10. November 1933: "Es sind das die Menschen, die überall und nirgends zu Hause sind (...) und die sich überall zu Hause fühlen. Es sind die Einzigen, die wirklich als internationale Elemente anzusprechen sind, weil sie überall ihre Geschäfte betätigen können, aber das Volk kann ihnen gar nicht nachfolgen."
ENTWURZELUNG
Gegensatz "bodenständige" Bevölkerung – internationale (jüdische) Eliten.
Kickl in Budapest: "Das ist das Ziel dieser Eliten. Eine Entwurzelung des Einzelnen und eine Entwurzelung der Völker."
Hitler in einer Rede vor Arbeitern am 10. November 1933: "Es ist eine kleine, wurzellose internationale Clique, die die Völker gegeneinander hetzt, die nicht will, dass sie zur Ruhe kommen."
DROHUNGEN
Waren/sind ständiger Bestandteil der Rhetorik.
Kickl am 1. Mai: "Wir werden nach oben treten und jene, die es mit uns nicht gut meinen, in die Zange nehmen."
Joseph Goebbels im Wahlkampf 1928: "Wir kommen als Feinde! So wie der Wolf in die Schafherde einbricht, kommen wir!"
FESTUNG
Während des Zweiten Weltkriegs wurden die besetzten Teile des Kontinents von Joseph Goebbels als "Festung Europa" propagiert. Mit schlechterem Kriegsverlauf kam eine andere Sprachreglung: Festungen seien zu defensiv.
Kickl am 1. Mai: "Machen wir es Orbán nach, bauen wir die Festung Österreich."
KAMPF, SIEG, KETTEN BRECHEN
Die nationalsozialistische und die demokratisch fragwürdige Rhetorik stellen sich als verfolgtes Opfer dar, dem aber mit Willenskraft der Sieg gelingt.
Kickl in seiner Rede bei der Corona-Demo im Prater am 8. März 2021: "Ich freu mich auf den Tag des Sieges, der Sieg wird uns gehören" – "Das ist unser unbeugsamer Wille, den man nicht brechen kann."
Kickl bei seiner Neujahrsrede 2024: "In den Geschichtsbüchern wird einmal stehen, das Abstreifen der Ketten habe am 13. Jänner in Graz in der Schwarzlhalle begonnen."
Adolf Hitler 1928: "Unser fester, unbeugsamer Wille, das ist unsere Waffe. Unsere Waffe in dem Kampf, der einst die Ketten bricht."
ERLÖSUNG
Aus angeblicher Erniedrigung und Knechtung sollen die antidemokratischen Kräfte das Volk zur "Erlösung" führen.
Kickl am 13. Jänner in der Steiermarkhalle: "Jetzt ist es da, das Jahr der Entscheidung, das Jahr der Wende, das Schicksalsjahr hat begonnen. Die Peiniger und Unterdrücker haben nichts in den Regierungsämtern verloren. Jetzt ist die Erlösung in Sicht."
Hitler in einer Wahlrede 1932 in Stralsund: "Eine geknebelte, geknechtete und verachtete Nation hat sich selbst wiedergefunden. Die Wahl am 31. Juli wird dem deutschen Volk endlich die Erlösung bringen, wenn es die Kraft aufbringt, aller Feigheit und Halbheit zu entsagen, und den Willen zur Tat hat."