Der drohende Pflegenotstand - Und wie ihn eine blau-schwarze Regierung beschleunigen würde
Die Ausgangslage
Mängel in der Pflege-Versorgung und in der Betreuung von (chronisch) kranken, alten und behinderten Menschen sind ein Dauerthema der gesundheits- und sozialpolitischen Diskussion seit Jahrzehnten. An oberster Stelle steht dabei fast immer der Personalmangel.
Die zersplitterte Kompetenzlage und Finanzierungsverantwortung im Gesundheits- und Pflegebereich erschwert die politische Steuerung. Trotz merkbarer Fortschritte in den letzten Jahren, geht die Schere zwischen Bedarf und Bedürfnissen einerseits und dem Angebot weiter auf.
Die Betreuung und Pflege alter, chronisch Kranker und behinderter Menschen wird von Expert:innen ebenso wie von Betroffenen vielfach als ungesichert, lückenhaft und unübersichtlich eingeschätzt. Zudem werden die sich wandelnden Bedürfnisse der Klient:innen nicht ausreichend berücksichtigt.
Die Covid-Pandemie hat bereits erzielte Verbesserungen zum Teil wieder zunichte gemacht. Die Belastungsgrenzen des Personals wurden mehr und mehr überschritten, nicht zuletzt durch feindselige Reaktionen von Covid-Maßnahmen-Gegner:innen. Die Folge waren Personalkündigungen, die zu Versorgungsmängeln in der Akut- und auch der Langzeitversorgung führten.
Damit aber wuchsen auch die Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Systems und der Politik, und das Vertrauen in den Sozialstaat und zu guter Letzt in die Demokratie selbst wurden dadurch untergraben.
„Klotzen - nicht kleckern“ muss also die Devise sein, um die komplexen Herausforderungen in diesem Bereich zu beantworten. Um einen drohenden Notstand zu vermeiden, sind vermehrte und kontinuierliche politische Aufmerksamkeit und Handlungsbereitschaft gefordert, mehr öffentliche Finanzmittel, das Zusammenwirken vieler Beteiligter, die Einbindung von Betroffenen und ein intensives Monitoring. Es geht um mehr Ressourcen und neue Lösungen!
Was ist in der pflegerischen Versorgung und Betreuung von einer blau-türkisen bzw. blau-schwarzen Bundesregierung zu erwarten?
Derzeit sind bei beiden Parteien keine umfassenden Konzepte zur Verbesserung der Situation sichtbar, dafür aber vor allem bei der FPÖ eine Reihe von kontraproduktiven Strategien.
In den letzten Jahren hat die FPÖ generell und besonders auch im Gesundheits- und Sozialbereich Probleme eher verschärft als konstruktiv bearbeitet oder gar gelöst. Sie verstärkte Unzufriedenheit und verschärfte Konflikte. Für die Folgen wie zum Beispiel Personalkündigungen musste die FPÖ keine Verantwortung übernehmen.
Für die FPÖ in Regierungsverantwortung wird es schwer sein, aus dieser Strategie auszusteigen. Mit Versuchen, zugleich zu regieren und Opposition zu sein, wird zu rechnen sein.
Für eine Bearbeitung der komplexen und anforderungsreichen Herausforderungen im Pflege und Betreuungssystem fehlt es der FPÖ zudem an kompetenten Personen, an Geduld und Weitsicht.
Ein vorrangiges Ziel der FPÖ ist es, „Fremde“ sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite auszuschließen. Österreich ist aber so wie Gesundheitswesen insbesondere auch im Pflege- und Betreuungssektor auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Eine Regierung mit FPÖ-Beteiligung wird also die Attraktivität Österreichs für zuwanderungsbereite Pflege- und Betreuungspersonen verringern und die Personalprobleme verschärfen.
Die Weigerung, „Fremde“ angemessen zu versorgen, widerspricht dem Berufsethos der helfenden Berufe ebenso wie menschenrechtlichen Standards. Es könnte sogar dazu kommen, dass österreichisches Personal unter diesen Umständen das Land verlässt und lieber in Nachbarländern arbeitet.
Die ÖVP ist sich wenigstens bewusst, dass der Pflege- und Betreuungssektor nicht ohne zugewandertes Personal und zusätzliche finanzielle Mittel auskommen wird.
Beide Parteien betonen die wichtige Rolle der Familien, gemeint sind selbstverständlich deren weibliche Mitglieder. Die FPÖ will ja ohnedies die Frauen in traditionellen Betreuungsrollen festhalten oder sie dorthin zurückführen. Die ÖVP spricht von Wahlmöglichkeiten, aber sie hat bisher wenig getan, um pflegende Angehörige zu unterstützen.
Die ÖVP bekennt sich zwar zu Milliardeninvestitionen im Pflege- und Betreuungssektor, bremst aber generell bei den notwendigen Investitionen in das Gesundheits- und Sozialsystem: Mit der geplanten Senkung von Körperschafts-, Einkommens- Zinsertragssteuer sowie der Sozialbeiträge verschiedener Steuern wird die Finanzierungsbasis des Sozialstaats generell geschwächt. Stattdessen setzt die ÖVP auf Privatisierungen und „den“ Markt – so verstärkt man Ungleichheit und Unzufriedenheit!
Wie der ÖVP so steht auch in der FPÖ das Ziel einer Schwächung des Sozialstaats und der Sozialpartnerschaft – und damit indirekt der Beschädigung sozialdemokratischer Errungenschaften – im Wege, wenn sie angemessene Lösungen für die Probleme des Pflege- und Betreuungssystems entwickeln soll. Die Zusammenlegung der Krankenkassen war ein Musterbeispiel für diese Politik: zusätzliche Kosten, verringerte Effizienz und keine Rede mehr von der versprochenen „Patientenmilliarde" …
Fazit: Eine neuerliche FPÖ-ÖVP-Regierung wird – noch dazu angesichts der vielfach geforderten Budgetsanierung, die diese Parteien ausgabenseitig erreichen wollen – den drohenden Pflegenotstand beschleunigen und darüber hinaus sogar schon erreichte Verbesserungen gefährden bzw. zunichtemachen - Das alles wird auf Kosten der Betreuten und ihrer Familien geschehen.