Radikal rechtes Denken ist immer (Welt-)Verschwörungsdenken
Walter O. Ötsch
Radikale Rechte entwerfen das Bild einer gespaltenen Gesellschaft. Es gibt nur zwei verfeindete Gruppen: „das Volk“ und „die Elite“. Beide Gruppen werden als in sich gleichartig beschrieben. „Das Volk“ ist ausschließlich gut und wahrhaftig, „die Elite“ ist ausschließlich böse und lügnerisch. Solche Gruppen existieren nirgendwo. Sie sind reine Erfindungen.
In einem solchen Bild wird alles auf Handlungen, Absichten und Pläne von Menschen zurückgeführt. Das Machtsystem des Kapitalismus oder ökologische Zusammenhänge werden demgegenüber unwichtig. Komplizierte Vorgänge müssen auf ein Handlungzentrum zurückgeführt werden. So kommt man notwendigerweise zu der Behauptung, innerhalb „der Elite“ existiert ein geheimes Zentrum, das die Welt steuert. Im Glauben an eine Weltverschwörung liegt der Schlüssel zum Verständnis der aktuellen Gesellschaft und ihrer Geschichte. Nichts geschieht zufällig und nichts verläuft ohne Absicht und ohne Plan.
Alle radikalen Rechten besitzen ihr Verschwörungsbild. Jörg Haider hat von den „Bilderbergern“ gemunkelt und von den „Banken an der Ostküste der USA“ – gemeint waren „die Juden“. Dieser Mythos hat eine lange Tradition und durchzieht die Geschichte des Christentums. Für die große Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden die Juden schuldig gemacht. Später werden die Hexen verfolgt. Denn sie haben sich mit dem Teufel gegen ihre Mitmenschen verschworen. Ab dem 18. Jahrhundert dienen Legenden über Freimaurer, Illuminaten und Juden dazu, alles Moderne zu bekämpfen – zum Beispiel die Forderung nach Demokratie in der Revolution 1848. Nach dem Börsenkrach von 1873 entsteht in Europa eine antisemitische Bewegung. Der Wiener Bürgermeister Karl Lueger spricht von der „judenliberaler Herrschaft“, die er beenden werde. Von ihm lernt der junge Adolf Hitler, Verschwörungen für politische Zwecke anzusprechen.
Nach dem 1. Weltkrieg pflegen alle faschistischen Bewegungen ihren Verschwörungsmythos, viele von ihnen unter Berufung auf die „Protokolle der Weisen von Zion“. Das sind gefälschte Sitzungsprotokolle über eine jüdische Elite, die im Geheimen ihren Weg zur Weltherrschaft vorbereitet. Sie tauchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zuerst im russischen Kaiserreich auf. Die Nationalsozialisten kombinieren den „jüdischen Bolschewismus“ mit einer Rassenlehre. Die Weltgeschichte wird als gigantischer Kampf von Rassen beschrieben. Das geheimes Zentrum „der Juden“ ist nicht nur für die Niederlage im Krieg, sondern auch für die Weltwirtschaftkrise und für alle moralischen „Entartungen“ verantwortlich. Ab den 1990er-Jahren phantasieren in den USA die Neuen Rechten von einer „Neuen Weltordnung“: Die Regierung in Washington habe sich geheim mit den Juden, mit der UNO oder anderen internationalen Organisationen verschworen, und lenke so die Welt. Verschwörungstheoretiker sind phantsaievolle Menschen, manchmal ziehen sie den Kreis der Verschwörer noch weiter und bringen außerirdische Reptilienmenschen oder den Satan und seine Anhänger in Spiel.
Heute hat das Verschwörungsdenken bei den radikalen Rechten Hochkonjunktur. Ihre Fiktionen finden Zustimmung, weil die Krisen der Zeit viele überfordern, und weil (oft durchaus zu Recht) die Empfindung wächst, eine politische Elite würde sich um die Sorgen weiter Teile der Bevölkerung nicht kümmern. Je stärker und je selbstbewusster die radikalen Rechten werden, desto unbekümmerter und
offener werden Verschwörungen verbreitet. Die FPÖ unter Herbert Kickl spricht das aus, was die FPÖ unter Jörg Haider nur verschämt gesagt hat. In einem längeren Video, das die FPÖ im Mai 2024 veröffentlicht hat, wird ausführlich die Weltverschwörung „der Globalisten“ geschildert. Wer „die Globalisten“ genau sein sollen, erfährt man nicht. Aber es gibt Andeutungen durch Bilder von politisch und wirtschaftlich Mächtigen, wie Ursula von der Leyen, Bill Gates, Wladimir Putin, den „Austrooligarchen“ Hans-Peter Haselsteiner oder Klaus Schwab, dem Vorsitzenden des Weltwirtschaftsforums. Diese Weltzentrale dirigiert „globalistisch ausgerichtete Organisationen“, wie die Weltgesundheitsorganisation. Diese geben die große Linie vor und die EU, die Nato oder die Vereinten Nationen setzen sie dann um.
In diesem phantastischen Bild verblassen alle Unterschiede zwischen den anderen Parteien. Die ÖVP, die SPÖ, die Grünen und die Neos bilden eine „Einheitspartei“. Sie sind die „Systemparteien“, die sich den Vorgaben „der globalistischen Agenda untergeordnet“ haben. Auch die Medien in Österreich folgen den Befehlen „der Globalisten“. Sie sind folgerichtig als „Systemmedien“ zu bezeichnen, vor allem der ORF als „Staats- und Regierungsfunk“, aber auch manche Privatsender.
Im Gegensatz dazu steht die FPÖ. Sie ist die Partei „des Volkes“, das endlich einen „Volkskanzler“ verdient. Nur die FPÖ besitzt den notwendigen Durchblick. Nur sie erkennt die gigantische Verschwörung im Hintergrund und nur sie stellt sich dem Kampf gegen dieses „System“: „Mit Euch gegen das System“ – das ist die Parole für die Wahlen 2024. In diesem Bild pflegt die FPÖ ihr bekanntes Opfer-Spiel. Denn „die globalistischen Eliten“ führen „mit so großer Entschlossenheit“ den „Feldzug“ gegen sie.
Eine Weltverschwörung ist ein fantastisches Lügengebilde. Aber sie bietet viele Vorteile. Man versteht komplexe Vorgänge, die auch Expert:innen Probleme bereiten. Das Video der FPÖ spricht viele Sorgen an, wie die Angst vor der künstlichen Intelligenz oder dem Überwachungsstaat. Auch die Forderungen nach einer gendergerechten Sprache oder einem klimabewussten Leben sind Zumutungen „der Globalisten“. Unterschiedliche Themen, die wenig miteinander zu tun haben, haben eine einzige Ursache. Sie sind „eine logische Folge globalistischer Pläne“. Befreit von allen Fakten wird ein Versprechen verkündet: Nur im Kampf gegen die Weltverschwörung kann die Welt wieder heil werden.